Meditation ist ein seit mindestens zweieinhalb Jahrtausenden geübter spiritueller Schulungsweg. Die Grundzüge dieses Wegs sind im Prinzip seitdem immer dieselben geblieben und er wird bis heute auch nach ganz ähnlichen Regeln praktiziert, obwohl man mit dem Wort "Meditation" selbst nicht immer das Gleiche gemeint hat.

      Im mittelalterlichen Christentum nannte man zum Beispiel das, worin wir heute den Kernbereich der Meditation sehen – die gegenstandsfreie Anschauung – Kontemplation, während man unter "meditieren" eher eine gegenständliche Betrachtung verstand. Einig war man sich aber darüber, dass es bei der Meditation nicht um äußerliches Wissen geht, sondern um individuelle Erfahrungen, die im Allgemeinen nur mit Hilfe fester Anweisungen und unter der Anleitung eines qualifizierten Lehrers gemacht werden können.

      Wer auf diese Weise lange und mit einer seinem Ziel angemessenen inneren Haltung geübt hat, dem gelingt es möglicherweise, gleichsam die Sichtweisen des reifen Menschen und des Kindes miteinander zu verbinden: Er lernt, die Welt und sich selbst "mit neuen Augen" zu sehen, indem er beiden in gesteigerter Bewusstheit und dennoch "im Anfängergeist" begegnet.

      Worin das Wesen der meditativen Praxis besteht, versteht man am ehesten, wenn man von der Sprachwurzel des Wortes "Meditation" ausgeht, dem lateinischen Wort "meditari". Diese grammatische Intermediärform, die es in unserer Sprache nicht gibt, heißt wörtlich "zur Mitte gegangen werden". Damit kommt zum Ausdruck, dass die angemessene Haltung bei der Meditation in einer Verbindung von Aktivität und Rezeptivität besteht. Im Zen wurde dies häufig durch paradoxe Formulierungen veranschaulicht, zum Beispiel indem man sagte: "Wer sich anstrengt, verfehlt die Übung und wer sich nicht anstrengt, verfehlt ebenso die Übung".

      Wer die Meditation genauer studiert, stößt noch auf einen anderen scheinbaren Gegensatz, nämlich zwischen Konzentration ("Achtsamkeit") und Entspannung ("Loslassen"): "Normalerweise" geht Konzentration mit einer gesteigerten Aktivität bestimmter höherer (kortikaler) Zentren im Gehirn einher und führt daher eher zur Anspannung. Bei der Entspannung kommen dagegen eher die Funktionen des autonomen Nervensystems ins Spiel. In fortgeschrittenen Zuständen der meditativen Praxis gelingt dagegen die Vereinigung dieser beiden scheinbar gegensätzlichen Pole. Ja es wird dabei sogar noch ein dritter Bereich mit einbezogen: unsere Emotionen einschließlich ihrer neurophysiologischen Entsprechungen.

      Damit sind zugleich die drei "Pfeiler" jeder Meditation benannt:

      1. Achtsamkeit im Anfängergeist
      2. im Zustand der Entspannung
      3. mit dem Ziel der Entwicklung von Mitgefühl und Gleichmut

      Mit dem letztgenannten Satz wurde knapp umschrieben, worum es bei der Meditation wirklich geht und damit indirekt auch, wo man sie missversteht: Es geht um eine Öffnung hin zu einer tieferen Sicht der Wirklichkeit und zur Mitmenschlichkeit, nicht aber um egozentrische Selbstverwirklichung, um physische oder psychische Gesundheit oder gar um Wellness oder um Leistungen im Sinne eines Psychotrainings, wie manche ihr unterstellen.

      Auf einem anderen Blatt steht, dass regelmäßige Meditation oft positive Auswirkungen auf unsere körperliche und seelische Gesundheit hat. Das ist zwar erfreulich, aber nicht ihr eigentlicher Zweck.

      Gesagt wurde auch, bei der Meditation spielten zentralnervöse, körperliche und geistige Funktionen auf spezifische Weise zusammen. Das heißt aber nicht, dass dabei der Leib ausgeschlossen wird, wie man vermuten könnte, wenn zugleich betont wurde, die Meditation sei ein geistiger Schulungsweg. Das Gegenteil ist der Fall: Es gibt zwar ganz unterschiedliche "Techniken" der Meditation. In jedem Fall aber hat ihr Gelingen die Einbeziehung des Leibs zur Voraussetzung, wobei die jeweiligen Akzente ganz verschieden gesetzt sein können.

      Wesentlicher ist, dass dabei nicht nur Physisches und Psychisches in einen inneren Zusammenhang gebracht werden, sondern dass auch auf der eigentlich geistigen Ebene eine Integration von Gegensätzen im Mittelpunkt steht. Nikolaus von Kues, der am Ende des Mittelalters lebte, sprach in diesem Zusammenhang von "Coincidentia oppositorum", Vereinigung von Gegensätzen, während Jean Gebser und Ken Wilber die Erwartung ausdrückten, die Menschheit bewege sich in Richtung auf ein integrales Bewusstsein zu. Wie dieses allerdings letztlich aussehen wird, konnten auch sie nicht wirklich beantworten, da es ja noch nicht erreicht ist.

      Dass gerade in unserer Zeit, in der ein zunehmender "Verlust der Mitte" (Hans Sedlmayr) zu beklagen ist, der Meditation große Bedeutung zukommt, liegt auf der Hand. Viele begegnen ihr allerdings voreingenommen, sei es, weil sie allein schon wegen des Anspruchs der eben genannten Begriffe denken, dabei handle es sich letztlich um etwas Elitäres oder um eine Art von psychischer Akrobatik oder sei es, weil sie sie mit dem New Age identifizieren. Beides ist falsch.

      Was den ersten Punkt angeht, so soll der Meditierende letztlich nicht mehr tun, als sich dem "Geschenkcharakter" der Wirklichkeit zu öffnen, was allerdings ohne aktive Bemühung nicht möglich ist. Flapsig könnte man das auch so ausdrücken, dass uns die Meditation helfen kann, das Brett abzuschrauben, das wir im Alltag, bemerkt oder unbemerkt, vor dem Hirn tragen. Man kann das auch seriöser formulieren und auf die Einsicht so unterschiedlicher Persönlichkeiten wie Buddha oder Jesus, Freud oder Heidegger hinweisen, die betont haben, die Menschen lebten "normalerweise" unterhalb ihrer eigentlichen Möglichkeiten. Die Meditation kann helfen, diesem Zustand zu entkommen und zu einer tieferen Wirklichkeit durchzubrechen.

      Was dagegen den zweiten Punkt angeht, die Beziehung der Meditation zum New Age, so handelt es sich hier, allein schon wegen der geistigen Anspruchslosigkeit des Letzteren, geradezu um Kontrastprogramme. Tatsache ist lediglich, dass das New Age viele Nischen okkupiert hat, die offiziell vernachlässigt werden, darunter auch die Meditation.

      Wie die inhaltlichen Bestimmungen einer solchen letzten Wirklichkeit sind, die sich durch Meditation möglicherweise erfahren lässt, darüber kann diese allerdings keine Antwort geben, sondern lediglich der jeweilige Glaube des Betreffenden. Meditation ist dagegen, wie ja schon gesagt wurde, etwas anderes als Glaube, nämlich letztlich eine gegenstandsfreie Anschauung, und als solche ist sie allenfalls, buddhistisch ausgedrückt, ein "nützliches Mittel", um den jeweiligen Glauben zu stützen.

      Stützen aber kann sie diesen deshalb, weil alle, die tiefe meditative Erfahrungen gemacht haben, sich quer durch die Zeiten und Kulturen darin einig waren, dass das, was wir letzte Wirklichkeit nannten, im Grunde ständig da ist, wenn wir bereit sind, uns ihr zu eröffnen. Davon legt das buddhistische "Herzsutra" ebenso Zeugnis ab wie zum Beispiel der evangelische Bandweber und Mystiker Gerhard Tersteegen, der gedichtet hat: "Gott ist gegenwärtig, alles in uns schweige". Darum ging es aber auch dem im Mittelalter lebenden Meister Eckhart, wenn er vom "Fünklein" in uns sprach oder Goethe, der den Faust sagen ließ "Die Geisterwelt ist nicht verschlossen; dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot".

      Weil das aber so ist, deshalb lässt sich die Meditation auch nicht von einer einzelnen Religion vereinnahmen. Ebenso wenig kann man sie im Sinne eines Gottesbeweises instrumentalisieren. Daher gibt es auch, streng genommen, eine spezifisch christliche oder eine buddhistische Meditation ebenso wenig wie eine medizinische oder juristische Ethik. Vielmehr kann Meditieren jeden weiterbringen, gleich ob er Christ oder Buddhist ist und ethische Normen gelten für einen Arzt ebenso wie für einen Juristen oder Handwerker.

      Fest steht lediglich, dass für jeden von uns je nach Reife und Sozialisation bestimmte Aspekte dieser umfassenden Phänomene wichtiger sein werden als andere. Wegen dieser Grenzen ist Meditation auch weder ein Universalschlüssel zur Lösung aller Probleme noch ein Garantieschein zur Glückseligkeit.

      Solange wir in dieser Welt leben, werden wir diese als unvollständig und uns als erlösungsbedürftig erfahren. Die Meditation kann uns aber helfen, unsere Welt in einer größeren Fülle zu sehen und sie dadurch als eine lebenswerte und sinnvolle zu erfahren.